Im Osten viel Neues.
© boy | Strategie und Kommunikation GmbH
Zu Fuß durch Wellingdorfs Architekturgeschichte
Ich bin heute auf Entdeckertour. Wenn man durch Corona schon nicht die Welt entdecken kann, dann vielleicht Oasen des Kieler Ostens – mit einer Stadtteilkarte des Gaardener Büros für Stadtteilentwicklung. Mittlerweile gibt es drei Karten mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten. Meine Entscheidung ist auf die „Architektur Map Ellerbek/ Wellingdorf“ gefallen, auf der es eine 5,3 Kilomenter lange (orange) und eine 2,3 Kilometer kurze (gelbe) Route gibt.
Für meinen Plan, der orangenen Route zu folgen, gibt es direkt drei grüne Signale: Blauer Himmel, singende Vögel und sommerliche Temperaturen. Besser geht’s nicht. Mein Weg startet direkt am und überm Wasser. Ich setze mit der vollelektrischen „MS Düsternbrook“ von Reventlou nach Dietrichsdorf über. Dort angekommen blicke ich hinüber zum neuen Gebäude vom Geomar. Das Helmholtzzentrum für Ozeanforschung gehört zu den weltweit führenden Einrichtungen auf diesem Gebiet. Mit 30.000 m² und insgesamt 170 Laboren ist das Gebäude eines der bundesweit größten Wissenschaftsbauten der letzten Jahre. Die prismatisch reflektierende Glas-Alufassade soll die maritime Lichtstimmung des Ortes einfangen. Ich finde, das ist gelungen.
Auf der Architektourroute ist das Geomar erst der fünfte Halt, außerdem bin ich immer noch am Anleger und noch gar nicht weit gekommen. Ich halte mich aber an den Halbsatz, dass „kombiniert, abgekürzt oder beliebig erweitert werden“ kann und der tolle Ausblick gibt mir recht.
Ein Stück weiter an der neuen Schwentine-Promenade entlang liegt der eigentliche Ausgangspunkt: die Alte Schwentinebrücke, Baujahr 1874. Der Plan verrät mir, dass auf ihr früher die größte und bedeutendste Kornmühle Deutschlands stand.
Mich beeindruckt der Bau. Architektonisch erinnert mich die Brücke mit ihren Bögen an römische Bauwerke.
Der Weg über die Brücke ist auch der Weg nach Wellingdorf. Dort angekommen folge ich der Route und biege direkt hinter der Brücke links auf einen Schotterweg ab. Ich beobachte zahlreiche Menschen, die mit ihren Paddel- und Ruderbooten auf der Schwentine unterwegs sind. Schon jetzt ist klar, dass es neben den 15 Stationen der orangen Route auch noch unzählbare weitere Orte in Wellingdorf gibt, die gesehen werden wollen.
Die Karte führt mich nach ein paar hundert Metern weg vom Wasser, hinauf ins Wohngebiet. Über den Wehdenweg spaziere ich an dutzenden Erkern entlang, die trotz ihrer Individualität ein stimmiges Gesamtbild erzeugen. Ein Haus gefällt mir besonders gut: Es hat einen Erker, der in einen Balkon übergeht, der in einem eingefassten Rundturm mündet.
Ab 1910 entstand hier ein Neubaugebiet, das wohlhabende Familien anziehen sollte.
Ohne die Stadtteilkarte wäre ich hier wahrscheinlich einfach vorbeigegangen, nun bewundere ich die Kreativität der Architekten der letzten Jahrhundertwende. Vor allem der Kieler Architekt Johann Theede habe den Wehdenweg stark geprägt, lese ich.
Erker gibt es in der Dobersdorfer Straße keine. Dafür fühlt man sich in der geschwungenen Nebenstraße wie in einem idyllischen, kleinen Dorf. Die Kopfsteinpflaster auf der Straße entschleunigen dabei nicht nur die Autos, sondern auch meinen Gang. Das Gehen wird zu einem Schlendern, ja fast schon Flanieren. Auch für die Bewohner*innen scheint es hier eine Oase des Entspannens zu sein. Auf den vielen weißen Bänken sitzen schon am Vormittag strahlende Menschen. Laut Stadtführungsplan stehen hier vermutlich die ersten Reihenhäuser Kiels. Doch auch die Einzelhäuser ähneln sich wie eineiige Zwillinge. Nur die Satellitenschüsseln und die Schornsteine setzen Akzente. Die Stimmung, die dieser Ort ausstrahlt, passt zum sympathischen Wetter am heutigen Tag.
Das gesamte Gebiet von der Schönberger Straße, über den Seefischmarktgelände, bis zur Brückenstraße ist architektonisch sehr abwechslungsreich und reicht von typischen Kieler Backsteinbauten bis zu barockisierenden Wandfeldern. Besonders das 1903/1904 entstandene Wohngebiet nördlich des Seefischmarkts, das durch die Erweiterung der Kaiserlichen Werft vonnöten war, beeindruckt mit farbenfrohen Fassaden und Schmuckdetails.
Am Ende der orangen Route, bin ich am einzigen Ellerbeker Ziel angekommen und stehe vor der Alten Räucherei. Sie passt heute so gar nicht mehr ins umliegende architektonische Bild. Wie viele Straßen Kiels wurde auch die Werftstraße im Zweiten Weltkrieg stark bombardiert. Vor dem Krieg sah es hier einheitlicher aus. Heute setzt die denkmalgeschützte Alte Räucherei mit ihrem rot-braunen Backsteinen und dem hohen Schornstein einen attraktiven baulichen Akzent. Hier könnt Ihr auch einkehren, wenn Ihr unterwegs hungrig geworden seid, denn seit einigen Jahren ist sie wieder zu einer kulinarische Adresse geworden – mit Biergarten und Kulturprogramm.
Nach rund zwei Stunden bin ich um viele Eindrücke reicher und frage mich, warum ich nicht schon früher mal meine Fühler in diese Stadtteile ausgestreckt habe. Künftig werde ich ganz bestimmt achtsamer auf die Architektur um mich herum schauen und nach kleinen Details suchen.
Die gesamte „Architektur Map Ellerbek/Wellingdorf“ beinhaltet 15 Stationen. Die beiden weiteren Thementouren führen Euch durch die „Street Art von Gaarden“ und zu den „Grünen Orten Neumühlen-Dietrichsdorfs“. Alle Pläne gibt es zum Download unter: https://www.kieler-ostufer.de/projekte/ostufer-allgemein/stadtteiltouren
Yannik Binder ist seit 6 Semestern Student der Fachhochschule Kiel – mit Wohnsitz auf dem Westufer:
„Das Ostufer kenne ich nur vom Ausblick aus dem Bus, der Schwentine-Fähre und den Vorlesungssälen. Viel herumgekommen bin ich also nicht. Umso neugieriger war ich darauf, die nähere Umgebung der Hochschule mal mit ganz anderen Augen zu sehen.“