Warum braucht die Stadt Kiel einen Fußverkehrsbeauftragten?
Fußverkehr wurde lange Zeit in Deutschland als vernachlässigbare Verkehrsart begriffen und mit den am Ende der Planung übrigen Flächen abgespeist – auch in Kiel.
Häufig wurden die Belange des Fußverkehrs im Sinne des Autoverkehrs, in jüngerer Zeit auch immer mal wieder im Sinne des Radverkehrs, weggewogen. Die Wartezeiten an Ampeln und anderen Querungshilfen wurden länger, die Wege weiter und auch schmaler, Hindernisse nahmen immer mehr zu. Alles für den Fahrverkehr Störende wanderte auf die Gehwege: Schilder, Schaltschränke, Mülltonnen, parkende Autos und Fahrräder oder Werbung. Selbst Maßnahmen, die den Fußverkehr schützen sollen, schränken diesen mitunter ein. Das beste Beispiel: Poller.
Wir haben diese Einschränkungen lange Zeit Achselzuckend hingenommen und vergessen, was der Fußverkehr alles kann und wie wichtig er für uns ist. Er ist für uns zu banal und selbstverständlich geworden – nicht nur planerisch, sondern auch gesellschaftlich und politisch. Es ist an der Zeit die Bedeutung des Fußverkehrs wieder anzuerkennen. Dafür braucht es eine strukturelle Betrachtung des Fußverkehrs – bei uns in der Form des Fußverkehrsbeauftragten.
Was ist das Besondere am Fußverkehr?
Wir gehen alle zu Fuß! Fußverkehr ist die Basis unseres Lebens. Jede Aktivität setzt ein Mindestmaß an Fußverkehr voraus und ermöglicht gleichzeitig eine gesellschaftliche Teilhabe ohne besondere Zugangsvoraussetzungen. Nicht umsonst ist der aufrechte Gang das, was den Menschen auszeichnet. Wenn wir nur unsere Fortbewegung draußen auf der Straße betrachten, dann legen wir nahezu ein Drittel unserer Wege zu Fuß zurück.
Ob zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen oder auch zum Spazieren oder zum Joggen. Klar! Aber jeder Weg aus der Haustür zum Fahrrad, zum Auto oder zum Bus beginnt auch mit einem Fußweg, sodass bei Betrachtung aller Etappen sogar 60 Prozent aller Etappen zu Fuß zurückgelegt werden. Gerade für den ÖPNV ist die gute Erreichbarkeit zu Fuß von enormer Bedeutung, da die überwältigende Mehrheit der Nutzer*innen zu Fuß zur Haltestelle kommt. Das wird auch für die Stadtbahn eine zentrale Aufgabe.
„Hinzu kommt, dass im Gegensatz zu den anderen Verkehrsmitteln nicht nur die Fortbewegung eine zentrale Rolle einnimmt. Auch die Unterbrechung unserer Bewegung, genauer gesagt der Aufenthalt, ist noch viel wichtiger.“
Die niedrige Geschwindigkeit ermöglicht die Erfassung unserer Umgebung. Unser Blick schweift umher, lässt sich von kleinteiligen Impulsen treiben, wir erkennen Freud*innen, Bekannte oder Nachbar*innen und können unmittelbar in den Austausch kommen.
Wir sehen, was andere machen oder was in Schaufenstern ausgestellt ist und können uns spontan dazu entscheiden genauer nachzusehen und vielleicht auch das Gesehene zu kaufen. Alle, die gehen, flanieren oder sich im öffentlichen Raum aufhalten beleben Straßen und Plätze.
„Kurzum: Attraktive Städte sind ohne Fußverkehr nicht denkbar. „
Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass wir Straßen und Plätze für den Aufenthalt gestalten müssen. Es müssen Orte geschaffen werden, die zum Gehen und Verweilen einladen, um eine noch lebenswertere Stadt zu kreieren. Einfach zweckmäßig für mehr Platz für den Fußverkehr zu sorgen reicht bei Weitem nicht aus!
Was macht ein Fußverkehrsbeauftragter?
Verkürzt gesagt bin ich Anwalt der Fußgänger*innen in Kiel und vertrete ihre Interessen innerhalb der Stadtverwaltung. Gleichzeitig versuche ich die Bedeutung des Fußverkehrs und die damit einhergehenden Anforderungen geltend zu machen. Nicht nur in der Verwaltung, sondern wiederum in der ganzen Stadtgesellschaft. Es geht darum alle für den Fußverkehr zu sensibilisieren.
Dazu zählt auch, dass sich Autofahrende und Radfahrende rücksichtvoll gegenüber Fußgänger*innen verhalten und den Gehweg oder die Querungsstelle nicht mit Auto versperren oder mit dem Rad nicht auf dem Gehweg gefahren wird.
Darüber hinaus kümmere ich mich darum, wie der Fußverkehr in Kiel strategisch weiterentwickelt werden soll. Dafür tausche ich mich bundesweit mit Kolleg*innen aus und versuche neue wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen zu lassen. Alles im Sinne der bestmöglichen Lösung für den Fußverkehr und insgesamt im Mobilitätsverbund.
Wie bist du zum Fußverkehr gekommen?
Ich bin zwar schon immer sehr gerne große Runden spaziert oder weit gewandert – manchmal zum Leidwesen derer, die zusammen mit mir unterwegs waren – aber erst Kiel hat mich dazu gebracht auch viele meiner Alltagswege zu Fuß zurückzulegen und mich nicht immer auf das Fahrrad zu schwingen. Ähnlich gilt das auch für mein Studium.
Zwar habe ich mich lange schon auf öffentliche Räume und Mobilität konzentriert, aber erst zum Ende hin intensiv mit dem Fußverkehr. Ausgangspunkt war ein Auslandssemester in Norwegen, wo ich begeistert darüber war, wie komfortabel und sicher man dort zu Fuß unterwegs ist, weil an vielen Kreuzungen und Wegen Zebrastreifen vorhanden sind und diese stets respektiert werden. Das war ein beeindruckendes unbeschwertes Unterwegssein. Und da habe ich mich gefragt: Wieso geht das in Norwegen aber in Deutschland nicht? Das war dann auch der Startpunkt für meine Masterarbeit.
Und warum geht das nicht?
„In Deutschland ist die Ansicht noch weit verbreitet, dass Zebrastreifen unsicher seien. Empirisch lässt sich das aber nur sehr bedingt belegen.“
Es besteht keine generelle Unsicherheit, sondern vielmehr Mängel an einzelnen Zebrastreifen. Dagegen steht der eindeutige Nutzen für den Fußverkehr. Selbst kleine Kinder wissen schon, dass Fußgänger*innen an Zebrastreifen Vorrang haben. Studien belegen, dass Zebrastreifen weithin erkannt und akzeptiert werden. Dieser Nutzen zählt aber kaum.
Was muss sich für den Fußverkehr verändern?
Eigentlich illustriert die Debatte um Zebrastreifen hervorragend, dass wir Verkehr und Mobilität nach wie vor mit einer automobilen Brille betrachten. Zumindest was die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen angeht. Der Autoverkehr soll ungehindert fließen. So wird das Fehlverhalten von Autofahrenden an Zebrastreifen Fußgänger*innen zur Last gelegt und diese deshalb abgelehnt.
Noch absurder wird es in Nebenstraßen, wo der Kfz-Verkehr in der Regel Vorrang gegenüber der Nahmobilität genießt. Weshalb kehren wir dort das Prinzip nicht um und ermöglichen durchgängige, barrierefreie Wege für alle die zu Fuß unterwegs sind – gerade für Menschen, die besonders darauf angewiesen sind wie Ältere, Personen im Rollstuhl oder mit Kinderwagen? Wir stärken damit die Fortbewegung zu Fuß, den Aufenthalt und die Nachbarschaften und könnten Straßen wieder mit Leben und Begegnung füllen – wieder Straßen für alle schaffen. Lasst uns dieses Potenzial nutzen!
Was wünschst du dir für deine Arbeit?
Ich wünsche mir, dass die Gleichgültigkeit mit der andere Menschen in ihrer Mobilität eingeschränkt und in ihrer Sicherheit gefährdet werden nachlässt. Wir dürfen nicht länger in Kauf nehmen, dass beispielsweise durch illegales aber auch teils legales Gehwegparken die Mobilität vieler eingeschränkt wird oder das in Kreuzungsbereichen die Querungsstellen für Fußgänger*innen blockiert und die Sichtverhältnisse eingeschränkt werden. All das gefährdet unnötig andere.
Viele unserer Maßnahmen als Landeshauptstadt erhöhen vor allem die Verkehrssicherheit und trotzdem folgt darauf immer wieder das Argument der wegfallenden Parkplätze. Ich würde gerne nicht mehr über die Sicherheit von Kindern, anderen schutzbedürftigen Personen oder Menschen generell diskutieren müssen. Die Sicherheit aller geht alle an.