Ein Netz mit drei Linien –
bis Ende 2022
© Landeshauptstadt Kiel
Alle Kieler*innen sollen in Zukunft komfortabel, schnell und nachhaltig mit dem Öffentlichen Personen-Nahverkehr von A nach B kommen. Das ist Herausforderung und Ziel für die Landeshauptstadt Kiel. Dafür muss es mehrere Entscheidungen geben: Wird es eine Tram oder ein Schnellbus-System – und welche Streckenführung kommt dafür in Frage? Darüber soll spätestens 2022 die Kieler Ratsversammlung entscheiden.
Mögliche Antworten auf diese Fragen soll gemeinsam mit der Landeshauptstadt das dänische Unternehmen Ramboll mit weltweit mehr als 16.500 Mitarbeiter*innen an 300 Standorten in 35 Ländern finden. Es hat den Auftrag, bis Ende 2022 eine Trassenstudie zu erarbeiten.
Nils Jänig leitet für das Unternehmen Ramboll das Projekt vor Ort – und bringt passende Voraussetzungen direkt mit ins Team: Er ist in Kiel aufgewachsen und hat hier sein Abitur gemacht. Mit dem städtischen Straßennetz und den besonderen Verkehrsbedingungen kennt er sich dadurch bestens aus. Im Interview mit kielmobil nennt er Hintergründe, zeigt konkrete Arbeitsschritte auf und erzählt, worauf es bei der Trassenstudie ankommt.
Herr Jänig, was versteht man eigentlich unter einer Trassenstudie?
In einer 2019 veröffentlichten und von der Landeshauptstadt Kiel beauftragten Grundlagenstudie wurde erarbeitet, dass die beiden geeigneten hochwertigen und nachhaltigen Verkehrsmittel der Zukunft in Kiel eine Tram oder ein BRT (Bus-Rapid-Transit, also Schnellbus-System auf eigener Trasse) sind. Unsere Aufgabe ist nun, anhand einer standardisierten, rund zweijährigen Studie für beide Systeme die geeignetste Streckenführung und ein Netz zu entwickeln. Wir müssen zudem nachweisen und dokumentieren, dass wir alle sinnvollen Varianten überprüfen und am Ende zu einer Schlussfolgerung kommen – welches ist das beste Netz mit den besten Linien-Korridoren für Kiel – und welches das beste Verkehrsmittel, eine Tram oder ein BRT. Das alles soll Ende 2022 feststehen und eine Entscheidungsgrundlage für die Kieler Ratsversammlung sein. Natürlich arbeiten wir in diesem Prozess transparent, ergebnisoffen und beteiligen die Öffentlichkeit umfassend. Denn das ist bei einem so großen Projekt heutzutage selbstverständlich.
Was die Landeshauptstadt Kiel macht, geht allerdings weit über den Standard hinaus: Kiel hat deutlich früher als bundesweit in vergleichbaren Projekten üblich mit Öffentlichkeitsarbeit und Beteiligungsveranstaltungen begonnen, nämlich schon mit dem Projektstart im Sommer und Herbst letzten Jahres. Das wird auch so beibehalten und im weiteren Prozessverlauf sogar noch weiter intensiviert.
Sie pendeln zwischen Karlsruhe, wo Sie für Ramboll arbeiten und mit ihrer Familie leben, und Kiel. Welchen persönlichen Bezug haben Sie zu Kiel?
Ich bin von 1973 bis 1988 in Kiel aufgewachsen, habe hier mein Abitur gemacht, meine Eltern leben immer noch hier. Wenn ich derzeit von montags bis donnerstags in Kiel bin, wohne ich auch bei ihnen. Ich habe also einen sehr engen Bezug zu Kiel, Kiel ist meine Heimatstadt. Mir liegt dieses Projekt deshalb auch sehr am Herzen. Ich habe damals die letzte Fahrt der Kieler Straßenbahn erlebt und freue mich sehr, jetzt daran teilhaben zu können, wenn Kiel sich auf den Weg macht, ein neues ÖPNV-System für die Stadt zu planen.
Wie sieht ein Tagesablauf bei Ihnen aus?
Wir haben Anfang Oktober gemeinsam mit Mitarbeiter*innen der Landeshauptstadt Kiel ein Projektbüro im Wissenschaftspark bezogen. Das teilen sich vier bis sechs Mitarbeiter*innen von Ramboll und mit Mitarbeiter*innen der Stabsstelle Mobilität der Landeshauptstadt. Aufgrund der Corona-Pandemie können einige Mitarbeiter natürlich gerade nicht anreisen. Trotzdem ist das ein bundesweit in unserem ÖPNV-Sektor innovatives Vorgehen, da durch die kurzen Dienstwege in kurzer Zeit viele notwendige Entscheidungen getroffen werden können. So wird es oft und erfolgreich in Skandinavien gemacht, wie die letzten Stadtbahnprojekte z.B. in Aarhus, Odense oder Kopenhagen gezeigt haben, an denen wir maßgeblich beteiligt sind.
Für Deutschland ist das außergewöhnlich und zukunftsweisend von der Landeshauptstadt, was mich sehr freut. Ich bin sicher, dass wir so gemeinsam erfolgreich sein werden, die vielen Herausforderungen der kommenden Jahre zu meistern und den engen Zeitplan einzuhalten.
D.h. dieses gemeinsame Büro ist eine Arbeitsweise, die wir aus dem Kopenhagener Projekt der Entwicklung eines Stadtbahnrings kennen. Für Deutschland ist das außergewöhnlich und zukunftsweisend von der Landeshauptstadt, was mich sehr freut. Ich bin sicher, dass wir so gemeinsam erfolgreich sein werden, die vielen Herausforderungen der kommenden Jahre zu meistern und den engen Zeitplan einzuhalten. Es gibt zudem eine Parallele zwischen Kopenhagen und Kiel: In Dänemarks Hauptstadt wurde die Straßenbahn 1973 abgeschafft, zwölf Jahre früher als in Kiel. Und jetzt wird in Kopenhagen der sogenannte „Ring 3“ gebaut.
Was kann Kiel von Kopenhagen lernen?
Die Art, wie man Großprojekte angeht. Ich selbst war zweieinhalb Jahre in Kopenhagen beim Kunden, wie hier in Kiel, als stellvertretender Leiter für die Ausschreibung des Gesamtsystems verantwortlich. Da sollte man groß denken, denn „Zeit ist Geld“. Das Budget von der Stadt für die Trassenstudie beläuft sich auf viele Millionen Euro. Es geht um ein neues ÖPNV-System für eine gesamte Stadt, das ist eine komplexe Planung. Wir beleuchten dabei alles, gemeinsam mit der Stadt – als ein Team. Das ist typisch skandinavisch und hoffentlich hier so erfolgreich wie bei dem nördlichen Nachbarn.
Welche konkreten Schritte stehen nun für Ramboll als Planungsbüro an?
Wir nehmen aktuell Ortsbesichtigungen entlang der möglichen Korridore in allen Stadtteilen vor. Anhand eines Punktesystems für festgelegte Kriterien wie Kosten oder bautechnische Aspekte, Vor- und Nachteile etwa für Anrainer*innen, Eingriffe in die Umwelt oder Fahrgastnutzen legen wir die Strecken in Absprache mit der Stadt Kiel fest. Unser Ziel ist es, von 130 Kilometern möglicher Straßenführungen zunächst eine Auswahl auf bis zu 80 km zu treffen und diese auf 50 Kilometer bis Ende März 2021 einzugrenzen.
Im nächsten Schritt fokussieren wir weiter und kommen von 50 auf 34,5 Kilometer für die Streckenführung und das Netz. Die Korridore enden übrigens alle in innerhalb der Stadtgrenzen. In der Innenstadt gibt es Abschnitte, die ziemlich sicher Teil des Netzes werden sein, wie z. B. die Andreas-Gayk-Straße oder der Hauptbahnhofsvorplatz, wie früher bei der Straßenbahn auch.
Wie lautet, in einem Satz formuliert, das Ziel der Studie?
Bis Ende 2022 steht ein Netz mit drei Linien und 35 Kilometern Trassenführung inklusive einer ersten Inbetriebnahmestufe sowie inklusive aller Kosten, aller technischen Details, eines Förderungs- und eines Finanzierungskonzepts.
Und wie geht es weiter, wenn eine Entscheidung für Tram oder BRT gefallen ist?
Das bedeutet, das Projekt geht in die Vorplanung für das gesamte Netz. In grob Zwei-Jahres-Schritten werden danach der Entwurf und die Planfeststellung entwickelt. Wenn das Planfeststellungsverfahren inklusive aller möglichen Einsprüche abgeschlossen ist, beginnt der eigentliche Bau. Bis Ende 2024 läuft die Vorplanung für das gewählte System. Danach endet formal die Trassenstudie. Das ist bisher unser Auftrag. Damit endet aber natürlich noch nicht die Planung eines neuen ÖPNV-Systems. Und mich persönlich würde es natürlich sehr freuen, Kiel bei diesem tollen Projekt weiter unterstützen zu können.
Porträt: Ramboll