Luxemburg und die Tram
© Luxtram
Am 31. August fand im Ostseekai eine Dialogveranstaltung zum geplanten hochwertigen ÖPNV-System statt. Durch die lange Corona-Pause waren viele Menschen gespannt, endlich mal wieder einer Veranstaltung in Präsenz zu erleben. Dabei hörten sie auch dem Vortrag von Helge Dorstewitz aus Luxemburg zu, der von den Planungen und dem Betrieb der dortigen Tram berichtete.
Für Helge Dorstewitz gilt der Grundsatz „Ohne den festen politischen Willen geht gar nichts.“ Der Directeur Nouvelles Lignes (Direktor für Neue Linien) bei der Verkehrsgesellschaft Luxtram in Luxemburg ist verantwortlich für das Modellprojekt einer hochmodernen Straßenbahn, die seit Ende 2017 in der Hauptstadt fährt. Waren es zunächst 17.000 Menschen, befördert die Tram gegenwärtig 62.000 Passagiere täglich. Seit Frühjahr 2020 sogar komplett kostenlos – wie der gesamte Nahverkehr bei Deutschlands kleinem Nachbarn. Auch dieser Nulltarif ist eine klare politische Ansage – und er macht Luxemburg zum europäischen Vorzeigeland beim öffentlichen Nahverkehr.
Wir sind fast im Verkehr erstickt.
Luxemburg hat 630.000 Einwohner. 140.000 wohnen allein in der Hauptstadt Luxemburg-Stadt, die nahezu die gleiche Anzahl an Arbeitsplätzen aufweist. Das bedeutet: Tagtäglich pendeln zigtausende Menschen aus dem Umland und aus Frankreich, Belgien und Deutschland in die luxemburgische Hauptstadt – Tendenz steigend.
„Wir sind fast im Verkehr erstickt“, erklärte Dorstewitz auf der öffentlichen Diskussionsveranstaltung im Kieler Ostseekai. Er war als Tram-Experte eingeladen, über die Erfahrungen vor Ort zu berichten. Seine Bilanz fällt positiv aus. Mit einer Taktzeit von drei bis vier Minuten – selbst zwei Minuten sind möglich – schafft die „Stater Tram“ im Stoßverkehr eine stündliche Kapazität bis zu 10.000 Menschen. In den 46 Meter langen Zügen finden 450 Personen Platz, wobei Dorstewitz für komfortables Fahren eher von 300 ausgeht.
Die Linie führt von Luxexpo über das Kirchberg-Plateau (Rout Breck) bis zum Bahnhof. Auf der acht Kilometer langen Strecke liegen 15 Haltestellen. Bis zum Jahr 2024 soll die Strecke bis zum Flughafen im Norden der Stadt verlängert werden, dann wird sie 24 Stationen auf 16 Kilometern Länge besitzen.
Der Aufwand für die Route mitten durch die Unesco-geschützte Altstadt war gewaltig. Die Verantwortlichen nahmen das Projekt zum Anlass, vorher sämtliche (veralteten) Ver- und Entsorgungsleitungen unter den Straßen zu verlegen. Das erklärte Ziel: In naher Zukunft soll die Tram-Trasse nicht mehr aufgerissen werden. Vier Stationen der neuen Linie wurden unter die Erde verlegt. Eigene Baustellenkoordinator*innen räumten in Gesprächen mit aufgeregten Anwohnern mögliche Konfliktpunkte aus dem Weg.
Dorstewitz ist vorsichtig, wenn er nach den Kosten gefragt wird. Denn die Ausgaben fallen in einer Unesco-Stadt wie Luxemburg naturgemäß schwerer ins Gewicht als anderswo. Allein der Ersatz für die alten Platanen, die zum Charme der Altstadt beitragen, schlägt mit hunderttausenden Euros zu Buche. Das neue Betriebszentrum geht ebenso in die Rechnung ein wie der Tram-Prototyp, der extra zum Tag der offenen Tür noch vor dem Linienstart geordert und 40.000 Menschen vorgestellt wurde. Und den Kaufleuten, die unter den Bauarbeiten zu leiden hatten, wurde die Hälfte des verlorenen Gewinns erstattet.
Ich gehe zur Haltestelle. Die nächste Tram fährt gleich vor.
Insgesamt kommt Dorstewitz auf eine Gesamtsumme von 550 Millionen Euro, die zu zwei Dritteln vom Staat und zu einem Drittel von der Stadt getragen wurde. Der Luxtram-Chef gibt gleichzeitig zu bedenken, dass im gleichen Maße, wie sich der Personenverkehr vom Auto auf die Tram verlagert, beispielsweise die Ausgaben für Straßenunterhaltung sinken. Und vom Klimaschutz war noch gar nicht die Rede.
Neben dem politischen Willen und der finanziellen Machbarkeit zählt Dorstewitz auch die „Multi-Modalität“ zu den Voraussetzungen des Tram-Erfolgs. Soll heißen: Herkömmliche Busse übernehmen Zubringerdienste für die Tram, Großparkplätze stehen für die Autos der vielen Pendler bereit. Wenn diese Abstimmung der Verkehrssystem und der Infrastruktur nicht erfolgt, wenn die Menschen zu oft umsteigen oder gar im Regen warten müssen, taugt auch die beste barrierefreie Straßenbahn nicht.
Die Luxtram-Fahrzeuge besitzen pro Seite acht breite Doppeltüren, was das Eins- und Aussteigen erleichtert. Für den Bereich der Innenstadt, wo die Tram ohne Oberleitung fährt, sind Auflademöglichkeiten an jeder Station vorhanden. In maximal 45 Sekunden erreichen die Akkus wieder ihre volle Ladung. Zumindest tagsüber von 6 bis 22 Uhr kommt die Luxtram eigentlich ohne Fahrplan aus. Bei der schnellen Frequenz von drei bis vier Minuten weiß jeder Kunde: „Ich gehe zur Haltestelle. Die nächste Tram fährt gleich vor.“
Aus der Sicht von Menschen mit Beeinträchtigungen oder mit Behinderungen ist vermutlich der barrierefreie Ein- und Ausstieg eines schienengebundenen Systems die bessere Lösung. Auch dürfte die ruhigere Fahrweise insbesondere für diesen Personenkreis angenehmer sein. Eine Anbindung und Pilotstecke von Suchsdorf nach Friedrichsort (Schienen liegen bereits) könnten schon zur nächsten Kieler Woche 2022 als erstes Versuchsprojekt (natürlich kostenfrei und mit guter Anbindung nach Schilksee) Erfahrungen bringen. Auch die Nutzung der stadteigenen Bahnstrecke fast zum Kanal-Fähranleger in der Wik stünde sofort bereit. Könnte dann noch von Suchsdorf der Kieler Hauptbahnhof ohne Umsteigen erreicht werden, so wäre das eine sehr große Verkehrsentlastung für die Kieler Innenstadt ein erster Schritt.
Lieber Herr Goebel, erst einmal vielen Dank für Ihre Gedanken zu dem Themenfeld. Abhängig von den gesetzlichen Bestimmungen muss ein neues System, ob Tram oder BRT, inzwischen barrierefrei gebaut werden – beide Systeme sind entsprechend gestaltbar und es ist das erklärte der Ziel der Landeshauptstadt Kiel, eine möglichst große Barrierefreiheit und damit Attraktivität für alle Nutzergruppen im neuen hochwertigen System zu erreichen. Eine schienengebundene Lösung kann, wie Sie bereits schreiben, eine ruhigere Fahrweise für alle Fahrgäste ermöglichen. Ob und wie sich zwischen den System Tram und BRT in Kiel Unterschiede ergeben würden, lassen wir gerade durch ein externes Planungsbüro bewerten. Bereits vorhandene Gütergleise kurz- oder mittelfristig umzunutzen, ist jedoch nicht ohne größere Anpassungen (z.B. durch fehlende Bahnsteiganlagen) möglich. Zudem erlaubt die Strecke nur sehr geringe Geschwindigkeiten im gegenwärtigen Zustand und ist damit nicht als attraktiv oder höherwertig einzuordnen. Zudem sind Bahnstrecken, die nach der Eisenbahnbetriebsordnung gewidmet sind, nicht einfach für eine Tram umnutzbar. Gleichwohl wird die Nutzung von regionalen Gleisanlagen geprüft. Etwa bei Regio-Tram-Systemen wird die Infrastruktur einer Tram mit den Regionalbahnstrecken verknüpft: Ein solches System gibt es beispielsweise in Karlsruhe und die Nutzung städtischer Gleisanlagen wird auch in Kiel im Rahmen der langfristigen städtischen Erweiterung in die gutachterliche Bewertung einbezogen.